Christian Thoelkes Bildraum ist kein Ort der Geborgenheit, die Stimmung ist kühl. Unser Blick bleibt nicht an Nebensächlichkeiten hängen, wenn uns auf grossformatigen Leinwänden seine Menschen begegnen. Das gemalte, imaginierte Bildpersonal kommt mit nur spärlichen Beigaben oder Gesten aus und auch der Raum bleibt allgemein. Über die Abwesenheit der Dinge, den stark bühnenhaften Charakter der Interieurs und Landschaften, sowie das verhaltene Agieren der Menschen vermitteln sich Gefühle der Leere und Einsamkeit. Kaum dass sich die Protagonisten berühren, sich ansehen, einander zugewandt sind. Meist stehen sie fast autistisch im Bildraum, isoliert voneinander im Unvermögen aufeinander zuzugehen.
Im Bild „Gespräch“ zum Beispiel, und hier erfährt die Arbeit über den Titel noch eine besondere Zuspitzung, sehen wir zwei junge Frauen, die zwar gemeinsam im Raum präsent sind, doch ihre Körpersprache vermittelt keine Dialogbereitschaft: hier der Rücken zugedreht, die kalte Schulter gezeigt, dort Blicke zu Boden oder ins Leere gerichtet. Auch die Protagonisten der anderen Arbeiten geben sich nicht preis: was sie tun, getan haben oder tun werden, wird nur andeutungsweise verraten. Requisiten und Accessoires, die sonst etwa in der Porträtmalerei zusätzliche Auskünfte zu den dargestellten Personen geben können, dem Publikum Zugang und Zugriff verschaffen, sind weggelassen.
Mit umso erhöhter Aufmerksamkeit kann man sich dem Eigentlichen zuwenden. Es geht hier um unser/das Bild vom Menschen. Thoelke befragt mit diesen Bildern die conditio humana, die menschliche Existenz. Der Ort der Bilder ist nicht das Museum, sondern der Mensch. Denn wir sehen durch Bilder und werden in Bildern gesehen. In den Sozialporträts Christian Thoelkes vermittelt sich seine Haltung: er möchte uns „zu sehen geben“, was ihn bewegt. Mit grosser Präzision sowohl in der Beobachtung wie auch in der Darstellung macht uns der Maler zu Zeugen eines Verlustes. Die Abwesenheit von menschlicher Wärme, Empathie und Solidarität, die sich den Betrachtern von Thoelkes Bildern vermittelt, verweist auf einschneidende gesellschaftliche Veränderungen, die uns heute angesichts Vereinzelung und Vereinsamung im Privaten wie im öffentlichen Raum begegnen.
„Treffpunkt“ betitelt Thoelke denn auch die Arbeit, welche in der gesamten gezeigten Bildauswahl mit einem einzigen Protagonisten auskommt. Dort steht ein einzelner Mann an einem leicht verwahrlosten Ort. Möglicherweise ist er in ein Selbstgespräch vertieft, als wüsste er bereits um die geringen Chancen einer Begegnung, denn hier hat sich sonst niemand eingefunden. Thoelkes Bildkompositionen, die Klarheit des Bildaufbaus und die Bedeutung der sparsam gewählten Details für das Bildganze wie auch seine Themen, verorten seine Malerei in kunstgeschichtlichen Traditionen der „Neuen Sachlichkeit“ und des „Magischen Realismus“. Die strenge Schönheit, die klaren Farben, die Sparsamkeit im Umgang mit schmückender Narration lassen den Blicken wie den Gedanken der Betrachter die Freiheit, Zwischenräume wahrzunehmen, laden ein, sich Form und Inhalt immer wieder aufs Neue zuzuwenden, denn nichts ist endgültig verhandelt. Möglich, dass sich doch alles anders verhält, als man zunächst geneigt war anzunehmen?
Mit dem französischen Philosophen Jacques Rancière ist Kunst eine spezifi sche Form der Sichtbarkeit. Sie vermag sinnliche Erfahrung in neue Bedeutungszusammenhänge zu stellen, sie kann dem Unsagbaren einen Raum geben. Kunst ist ein Indikator, eine Art Seismograph für kulturell bedingte Gegebenheiten. Dort ist sie politisch und in genau diesen Zusammenhängen wird das Anliegen Thoelkes für uns spürbar und sichtbar.