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Die Rückkehr der Wölfe

Christian Thoelkes surreale Bildgeschichten in der Galerie Remise (Berlin)

Irgendwann hatte irgendwer diese Areal für Haus, Terrasse und dekorativen steinernen Zaun der Natur abgetrotzt, sich ein Refugium abgetrennt vom Laubwald, von den Birken und Buchen. Die Besitzer oder Bewohner dieser scheinbaren Idylle allerdings sind verschwunden. Wohl länger schon, den aus den zersprungenen Keramikfliesen der Terrasse wächst Moos, die Flechten bereiten sich ungehindert aus zu Inseln. Und ein Bäumchen, das einst noch forsch aus den Platten wuchs, ist verdorrt, da ist niemand mehr der es gießt.

Die Natur erobert sich ihren Besitz zurück. Wölfe durchstreifen den Ort. Einer zerrt einen weißen Vorhang, wohl vom Fenster, in seinem Maul ins Freie. „Die Rückkehrer“ nennt der Berliner Maler Christian Thoelke dieses gleichnishafte Bild, das zu schön aussieht um Endzeitstimmung zu verbreiten, das aber die Melancholie der Verlassenheit vermittelt. Es wirkt, wie alle Bilder des einstigen Schülers von Wolfgang Peuker (an der Kunsthochschule Weißensee) und späteren Meisterschülers von Ulrich Hachulla (an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig) : minutiös real – und zugleich surreal.

Der 37jährige malte für diese Ausstellung noch viele andere, ähnlich seltsame Motive. Immer sind es verlassene Räume, menschenleere Orte. Etwa ein halbfertiges, pittoresk verfallenes Haus im Wald, ein Zimmer mit Rosentapete, halb abgerissene, auf dem Boden liegende Stoffbahnen, zerknülltes Papier, herab gerissene Wimpelchen, die von einem geplanten oder schon vor längerer Zeit stattgefundenen Fest erzählen, das Gäste und Gastgeber anscheinend fluchtartig verlassen haben. So zeigen die Bilder auch auf gewisse Weise gescheiterte Hoffnungen.

Das Verlassene, das Kaputte, das Zerstörte in den Motiven wirkt jedoch durch die Stille, durch die Ruhe der Malart nicht bösartig, nicht aggressiv oder hässlich. Alles ist vielmehr traumartig,
auf seltsam disharmonische, aber weiche Art doch wieder harmonisch. Thoelke malt im unaufgeregten, aber detaillierten und präzisen Stil der Neuen Sachlichkeit. Und dann gibt es da manieristische Momente: das verdrehte weiße Tuch im Wolfsmaul, die sich um die weißen Mauern windenden Äste des von außen eindringenden Gebüschs, das gefährlich sanftmütige Schleichen der Wölfe.

Das alles lässt denken an die Pittura metafisica, diesen aus dem Italienischen stammenden Magischen Realismus, wie wir ihn von de Cirico kennen, auch bei Christian Thoelke, dem Spross einer berühmten Berliner Porzellankünstlerin, nehmen die Bilder erst mal gefangen durch ihre Detailschärfe und die Schönheit des Dargestellten. Dann aber spürt man, dass in diesen Motiven etwas nicht stimmt, das eine unsichtbare, aber magische Kraft wirkt, von der man nicht sagen kann, ob sie nun Gutes oder Böses im Schilde führt. Eine Kraft, die keinen Zweifel daran lässt, das alles Vertraute und Geläufige aus dem Gleichgewicht zu geraten scheint. Der Maler nimmt uns Betrachter mit in seine beklemmenden Bilder, die nach dem Verhältnis von Mensch und Natur, von Realität und Traum (auch Albtraum) fragen.