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Rückzug aus dem Gewusel

Der Maler Christian Thoelke verdichtet in seinen grtoßfdormatigen Gemälden die Zeit

Was macht einen Künstler heute zum Künstler? Was ist seine alternative, dissidente oder sonst anders gedachte Position?  Mir scheint. der Rückzug – wie zu allen Zeiten! Aus dem Gewusel der alles fordernden und überfordernden Alltäglichkeit unserer Städte zurück in die Stille, Unaufgeregtheit oder Leere einer Probebühne, eines Sets, eines Ateliers. Da hat man - zumindest - die Möglichkeit den köstlichen oder grässlichen Mahlstrom des Lebens in seine Einzelheiten zu zerlegen, zu zerfetzen, zu zersplittern – neu zu binden, zu schmieren oder fanatisch neu zu setzen.  Die Abgeschiedenheit ist die Chance, das Viele zu ordnen – zu gestalten. Das scheint die eine Differenz zwischen Instagram und Aufführung, zwischen Facebook und Buch, zwischen Twitter und Bild.  Obwohl – das Bild an sich bleibt ein eigenes Phänomen.  Trudeln wir in unseren Aufführungen oder Liedern durch eine Zeit, die vergeht, bis wir den ganzen Spatenstich erleben und begreifen dürfen, ist das Bild einfach fortwährend da. Es ergießt sich sofort ganz vor uns in seiner Eigenheit und braucht weniger als zwei Sekunden, um zu zeigen, was es ist. Bis wir dies jedoch wirklich begreifen können, wird sehr viel Zeit vergangen sein. Mir scheint also in dieser spontanen „Darüber-Nach-Denkerei“, daß das Bild an sich in Entstehung und Betrachtung andere Zeitschneisen fräst als all unsere anderen schönen Künste.  Also versuche ich mich im Sinne des Rückzugs dem Bild zu widmen, dem Bild als statische Zeit. Nicht drehende oder fortlaufende Zeit – sondern Zeit die steht und doch geht.  Bilder, die Zeit fordern Mir fallen dann sofort die Bilder des Malers Christian Thoelke ein. Gebürtiger Ost- Berliner, 1973-er Jahrgang, also „Wende’89“ geschult, unter dem grossen Wolfgang Peuker zum Maler gewachsen. Neue Sachlichkeit wir diese Schule genannt. Ein Begriff, auf den ich vielleicht später noch eingehen will. Thoelkes Bilder verfolgen mich, ohne sich zu bewegen, seit geraumer Zeit, weil sie eine eigene Zeit fordern und sich allen anderen Zeiten nur dann verbinden, wenn sie, die Bilder, es für zwingend erachten. Also muss etwas in ihnen schlummernd bereit sein, was sich erst öffnet, wie eine Muschel, wenn der Betrachter sich selbst in die Weile versetzt, die das Erleben des Bildes zu einer Welt macht.  Seine Bilder sind meist großflächig, wie Kinoleinwände und wirken im globalisierten Vorbeihuschen für manch einen eventuell unverhältnismäßig leer im Bildaufbau – aber das genau bindet mich an sie und ich will vor lauter Neugier und Rätselei verweilen. Ich vergesse die wirkliche Zeit und begebe mich in die Zeit des Bildes.  „Treffpunkt“ 2008, 210cm x 320cm – eine Leinwand! In der Mitte ein Mann, lange blaue Hose mit schwarzem Gürtel, es scheint eine ästhetische Vereinfachung der üblichen Jeans, barfuss, nackter Oberkörper, kurzes braunes Haar! Er hält vor seinem Körper in beiden Händen ein braun-weiß gestreiftes Stoffteil – es könnte ein Shirt sein oder ein Handtuch – ich entscheide für mich, das es sein Poloshirt ist. Er ist von mir abgewandt, halb schräg nach hinten im Profil und schaut nach unten. - Wo sind seine Schuhe? - Er steht auf einer planierten Fläche von Blau-Rot-Gelb- Weiß-gesetzen quadratischen Steinplatten, die durch zwei kleine Stufen wie eine Minibühne wirken und auf deren hintersten Winkel sich eine Fahnenstange errichtet steht, deren Spitze jedoch nicht im Bild erkennbar ist. Die Fläche ist umgeben von einem grauen Betonziegelzaun, der das Ende eines von Menschenhand gestalteten Areals markiert. Dahinter ein dschungelartiger Wald, in welchem Birken deutlich erkennbar sind, sogenannte Essigbäume aber eben auch undefinierter Dschungel. Vier Details weisen auf sich hin – eine hellrote runde Fläche mit weißen Farfbflecken – vielleicht ein Tablett – im Hintergrund am Betonziegelzaun, eine kurze weiße Papierschlange davor, die sich auf die „Minibühne“ hinunterlegt, ebenso eine zerknitterte weiße Tischdecke, die sich ebenso hinunterwälzt und am Grunde des ganzen ein eher kleines zusammengefaltetes himmelblaues Tuch, in der Farbe des Himmels, der normalerweise so ein Bild nach oben abschließt – hier jedoch wie achtlos hingeworfen am Grunde des Bildes liegt. In seiner Gesamtheit erinnert mich das Bild extrem an eine Tanzfläche eines Betriebsferienheimes in der ehemaligen DDR. Ein Platz des Feierns und Sich-Verlierens. Ein Ort der Nähe und der Sehnsucht – ein Treffpunkt des Vergnügens! All das findet nicht statt in dem Bild.  Es gibt mehrere Zeitebenen. Zum einen ist da die unmittelbar vergangene Zeit. Der Titel „Treffpunkt“ deutet daraufhin, das sich mindestens zwei Personen hier treffen könnten. Eine ist dort, eine zweite fehlt. Der Mann ist halb entkleidet, barfuß und wirkt in Kopf- und Körperhaltung innehaltend, nachdenkend – die genannten kleinen Details wirken in ihrer Anordnung verworfen – gab es eine Verwerfung? Einen Streit? War es ein Treffpunkt, ein Rendez-vous? Gab es eine Knutscherei, eine Übergriffigkeit? Die Fragen stellen sich, suggerieren etwas – aber es bleibt unbeantwortet, verhält sich ambivalent.  Die Birke ist eine Pionierpflanze, kommt mit wenig aus und ist immer da, wo etwas vergangen ist, liegen gelassen wurde. Steht der Mann schon ewig da? Eine neue Zeitebene – Ewigkeit! Eine Birke schießt kräftig aus dem Boden vor dem Betonziegelzaun, also nicht erst seit gestern im von Menschenhand angelegten Vergnügungsareal – ein vergessener Ort vielleicht? Ein Ort der Erinnerung, an den ich mich nun, also im Moment der Betrachtung, neu erinnere?  Zivilisation und Dschungel! Feuerrot – die Farbe der Liebe, Hmmelblau – die Farbe des Wassers – das weiße Tischtuch ohne Tisch! Alles weist auf ein disordnendes Vorher hin und ich befinde mich im Ordnung suchenden Nachher.  Wie schön das erleben zu können, bedenken zu dürfen, ohne daß das Bild fort rennt – es bleibt und bietet sich dar, wie eine eitle Sphinx.  Christian Thoelkes Farben sind klar, eindeutig, kräftig – comicstyle, poppig. Klassische Farben – ‚wie in der Sixtinischen Kapelle!’ – murmelt der Mecklenburger Stierkopf in mir. Er malt nicht nur einzelne Bilder, er malt Strecken – Niemandsland hat er die aktuelle genannt, eine Auseinandersetzung mit Migration als Element des Seins, und überfliegt man sie in ihrer Gesamtheit, trägt ein junger Mann eine gelb-grüne Regenjacke. Sonne und Hoffnung! In einem Bild versucht dieser junge Mann über einen Zaun zu springen und der Horizont schimmert nicht wie in der Brandenburger Steppe oder im Thüringer Wald sondern wie ein Sonnenuntergang in Kalifornien. Ob ihm der Sprung dorthin ins orange-lila Licht gelingt, erfahren wir nicht. Aber das Bild lebt wie ein Film oder eben dieser junge Mann.  Neue Sachlichkeit wird diese Schule genannt, aus der Christian Thoelke seinen Blick in die Welt schulte, und sie ist über 100 Jahre alt und ist eine politische, sachliche und künstlerische Sichtbarmachung dessen, was dem einen oder der anderen auffällt im Gewusel des spätkapitalistischen Zurechtlebens. Magischer Realismus!  Es ist für mich Lust und Laune in unseren Zeiten der allseitigen kreativen Selbsterhöhung durch Kunst-Künstler wie Christian Thoelke Zeiten geschenkt zu bekommen, die ich nur durch seinen alles aussparenden Rück-Zug erlebe.
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