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Menschenleere Stadtlandschaften

Die Ausstellung „Paradies“ im Kunstforum zeigt Bilder des geteilten Berlins im Zusammenspiel mit Christian Thoelkes Gemälden verlassener DDR-Architekturen

Der Schriftzug, der einst auf dem Gebäude prangte, ist abmontiert. Nur die stählernen Haltungen sind noch vorhanden. Einige Fenster sind mit Folie verhängt, Betonwände mit Graffiti beschmiert. Durch die Fugen der Gehwegplatten bahnt sich Unkraut seinen Weg. Und kein Mensch weit und breit. Der Plattenbau-Würfel, der wohl einmal eine Wohngebietsgaststätte beherbergte, ist zu einem „Lost Place“ mutiert. Der Künstler Christian Thoelke hat viele solcher verlassenen DDR-Architekturen gemalt.

Werke von Butzmann, Strozynski oder Fuhr

Eine Auswahl seiner Arbeiten aus den vergangenen fünf Jahren ist in der Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank zu sehen. In der vonihm kuratierten Ausstellung „Paradies“ treten Thoelkes Bilder in einen Dialog mit Stadtansichten des geteilten Berlins aus der Kunstsammlung der Volksbank, darunter Werke von DDR-Künstlern wie Manfred Butzmann, Ursula Strozynski oder Ellen Fuhr sowie westdeutschen Zeitgenossen wie Rainer Fetting, Barbara Quandt und Karl Horst Hödicke.

Zum 40-jährigen Bestehen der Sammlung präsentiert die Stiftung einen ihrer Schwerpunkte – die Stadtlandschaften. 1600 Bilder hat Thoelke digital gesichtet, 60 Stadtdarstellungen daraus ausgewählt. Als Ausgangspunkt wählte er die Lithografie „Berlin amMeer“ (1949) von Werner Heldt – „als zentrale Arbeit, die die Stunde Null thematisiert, von der aus die beiden deutschen Staaten entstanden sind“. Viele weitere Exponate stammen aus den bleiernen 1980er-Jahren, beispielsweise die 24 Grafiken aus Manfred Butzmanns Serie „Das steinerne Berlin“. Es sind düster anmutende Arbeiten, Bilder von fensterlosen Hauswänden, einem gesprengten Bunker, einem Krankenhausschornstein, der schwarzen Rauch in den Himmel pustet.

Nicht weniger düster wirken die Radierungen von Ursula Strozynski, ob es nun der wuchtig erscheinende S-Bahnhof Jannowitzbrücke ist oder der Treppenaufgang am S-Bahnhof Ostkreuz. Einen gespenstischen Eindruck hinterlassen auch die ikonischen Bilder von Trak Wendisch. Es sind Stadtlandschaften der End-DDR, Bilder von Berliner Brücken, die abgerissen wurden, weil sie nichts mehr verbinden, nichts überbrücken durften. „All das sind Bilder einer Zeit, in der die Teilung Spuren im Klima der Stadt hinterlassen hatte und in der sowohl auf West- als auch auf Ostseite eine gewisse Melancholie herrschte“, sagt Thoelke.

Diesen Werken stellt der gebürtige Ost-Berliner Thoelke, der die Wendezeit als Jugendlicher erlebte, eigene großformatige, farbin-tensive Ölgemälde gegenüber und erweitert damit die Perspektive auf die Stadtlandschaft. Auch in Thoelkes Bildern dominiert eine melancholische Grundstimmung, aber sie stammen aus einer anderen Zeit. Thoelke hat verlassene Kaufhallen gemalt, einen ehemaligenKiosk, um den herum Birken gewachsen sind. Und leergezogene Plattenbauten. Die Fototapete in einem Raum, die den Bewohnerneinst einen sattgrünen Wald vorgaukelte, ist halb abgerissen. Die Gemälde wirken fast fotorealistisch, doch sind die gemalten Bautenfiktiv, aus Versatzstücken collagiert.

Ein Schriftzug gab der Ausstellung ihren Titel

So auch das Bild, das der Ausstellung den Namen gab: „Paradies“. Den Schriftzug habe er an einem Flachbau gesehen, in den nach dem Aus der dortigen Kaufhalle ein Sonnenstudio eingezogen war, erzählt Thoelke. Paradies, das Wort impliziert für ihn Scheitern, „ein Versprechen, das sich nicht einlöst“. Die Relikte des sozialistischen Städtebaus sind für ihn Sinnbilder einer Gesellschaft, die sich neu definieren muss. „Die eigentlich moderne, futuristische Architektur, die aufgegeben worden ist, steht für einen Bruch“, erklärt der Künstler, „für eine gesellschaftliche Utopie, die an der Realität zerbrach“. Das nahezu vollständige Fehlen von Menschen in den Bildern lässt Raum für Interpretationen oder Assoziationen: „Was macht es mit einem Ort, der nicht mehr gebraucht wird, was mit den Menschen, die dort leben?“

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Menschenleere Stadtlandschaften

2025-10-08-berliner-morgenpost-christian-thoelke.pdf / 171 KB

Berliner Morgenpost, 08.10.2025